Sonntag, 2. Juni 2019

kEIN Standard ‒ osmanisch ‒ türkisch

Meine Kernaussagen:
DEN rasm ʿUṯmānī gibt es nicht, sondern mehrere.
DEN Standard für Koranausgaben gibt es nicht, sondern mehrere.
Und so richtig gibt es Standards erst, seit es Druckausgaben gibt.
Gewiss, westafrikanische Handschriften glichen einander,
osmanische Handschriften glichen einander,
persische waren zueinander ähnlicher als zu osmanischen und indischen.
Indische Handschriften glichen einander,
nordindische mehr nordindischen, ostindische mehr ostindischen,
westindische mehr westindischen, südindische mehr südindischen.
Aber erst dank des Drucks konnten nicht nur wenige Reiche und Gelehrte mehr als eine Ausgabe besitzen; erst seit viele einen hatten, verglich man sie und störte sich an kleinen Unterschieden.
Erst der Druck schuf den Druck zur Standardisierung.
Erst seit fünfzig Jahren haben wir richtige Standards.
Der Maghreb und Indien haben schon lange von Gelehrten ‒ nicht einer Behörde, einer mächtigen Kommission ‒ entwickelte Standards.
Persien und das osmanische Reich hatten Schreib­traditionen mit etwas Band­breite, mit etwas Spiel.
Auch wenn seit Bergsträßer immer wieder ‒ bis heute ‒ Orienta­listen den Gizeh-Druck von 1924 als Standard bezeichnen, ist er das nicht.
Gewiss seit Saudi-Arabien einen dem 1952er "Zweitdruck" ‒ der an über 900 Stellen vom "Erst­druck" abweicht ‒ von ʿUṯmān Ṭāhā nach­geschriebenen muṣḥaf millionen­fach nachdruckt, gibt es einen ost­arabischen Standard ‒ neben dem türkischen, dem des irani­schen Zentrums für Druck und Ver­breitung des Korans, neben den indo­nesi­schen (von 1983, 2002 und 2018),
sowie dem zahlen­mäßig dominie­ren­den indo-pakistanischen.

Und gleich noch eine Kernaussage:
Es gibt zwar ZWEI HAUPTstandards, den afrikanischen und den asiatischen, aber man kann auch von Tausenden ausgehen,
denn die vielen Dimensionen der Verschrift­lichung sind frei kombinierbar:
‒ Klanggestalt (Lesarten, Verschrift­lichung der Vortrags­regeln),
‒ Buchstabengerüst (rasm plus dia­kriti­sche Punkte, Quranic Conmmon Text (QCT), cf. ad-Dānī: al-Muqnī),
‒‒‒ manchmal fokusiert man den rasm pur, meist aber kann man ihn gar nicht von den Punkten trennen, ohne diese hat er ja keinen Sinn. Punktierung wird bei den Les­arten berück­sichtigt, da geht es ja nicht nur im Vokale und Buch­staben­ver­doppe­lung, sondern auch um ṭ <> ẓ, ṣ <> ḍ, ʿ <> ġ, b/t/ṯ/n/y, r <> z, f <> q
‒ die Notation stummer und die verkürz­ter Vokal­buch­staben, sowie die langer Vokale,
‒ Einteilung plus Pausen (ǧuz, ḥizb, ruquʿ, Siebtel, Seite, Vers, Pausen­system, Pausen­stellen, Bekräftigung, Nieder­werfung {im Text, am Rande}, Kustode),
‒ Graphisches (wieviel Zeilen je Seite, ein Duktus für den Text, einer für die Basmala, einer für die Surentitel, Ziffern im Text oder am Rand).
Selbst Experten gehen einfach davon aus, dass man vom Duktus auf die Lesart schließen könnte,
oder von der Lesart auf die rasm-Autorität.
So ein Quatsch!
Sie schreiben von »version du Caire« oder »version du Maroc« statt von der Lesart-Überlieferung Ḥafṣ bzw. Warš oder von der Schreibung nach Ibn Naǧāḥ oder ad-Dānī oder der "iranischen vom Zentrum für Druck und Verbreitung" oder der "neuen indo­nesischen" oder von "ʿUṯmān Ṭāhā II, also Kairo1952 in der neuen Fassung des König-Fahd-Komplexes".
Gewiss die verschiedenen Dimen­sionen machen allein keinen muṣḥaf, aber wenn man ver­schiedene ver­gleicht, sollte man sich bewusst sein, WAS man vergleicht, dann sollte man das, worauf es (einem) ankommt und das Bei­werk deutlich unter­scheiden.

Also nochmal: der rasm, das unpunktierte Buch­staben­gerüst ist ‒ abgesehen von 40 Stellen und einigen Vokalbuchstaben ‒ immer gleich.
Differenzen beschränken sich weitgehend auf ya- statt ta- (oder nu-), fa- statt wa-, šadda oder nicht, Passiv oder nicht.
Bei den Lang­vokalen geht es meist nur um verschiedene Schreibung des gleichen Lautwertes.
Wirklich immer gleich sind die 114 Suren, auch wenn es unter­schiedliche Namen gibt ‒ aber immer in der gleichen Reihen­folge.

2018 verglich Marijn van Putten 23 Stellen im Kairiner Druck mit alten Handschriften
und stellte fest, dass die meisten die gleiche Verteilung von niʿamt Allāh mit tāʾ mamduda und mit tāʾ marbuṭa haben.
Hätte er das mit den 23 Stellen in einer beliebi­gen maghrebi­nischen, indischen, indo­nesi­schen oder türki­schen gemacht, wäre er zu dem gleichen Er­gebnis gekommen.
Nur weil er eine bestimmte Ausgabe als "Standard" mit den Hand­schriften verglich, bestätig­te er quasi ihr Standard-Sein.
Ganz nebenbei: Nicht an allen 23 Stellen steht niʿamt Allāh.

Noch 1960 dominierte eine osmanische Vorlage den syrischen Markt. Noch 1980 druckten drei arabische Staaten eine andere osma­nische Vorlage nach. Der ʿIraq noch zwei weitere. Inzwischen ist das Geschichte.
Heute schreiben nur noch Azerbai­dschan und die Türkei osmanisch,
wobei die Türkei einige Ver­änderungen vor­genommen hat:
u.a. wurde die Unterscheidung von Madda im Wort und an der Wort­grenze getilgt:



was nicht mehr so nötig ist, seit die meisten Drucke Wortabstand haben,
ferner wurde das waṣl-Zeichen getilgt ‒ sei es dass man sich in der Behörde wunderte, dass es mal steht (wie in Kairo), mal fehlt (wie in Indien), sei es, dass sie merk­ten, dass es nur steht, wenn ḥārf sākin folgt (meist ein an den näch­sten Kon­sonanten as­simi­liertes lām; es folgt also ein Buch­stabe mit sukûn oder ein lām vor einem Buch­staben mit šadda) ‒ da es regel­haft stand, kann man es weg­lassen.
Schließlich bekamen alle Drucke die genau gleichen Seiten. Böse gesagt, besteht für die heutigen Türken der Koran nicht mehr aus 114 Suren bzw. 558 Gebets­einheiten, sondern aus 605 Seiten.



Hier bin ich sicher, dass HO2 das nicht zweimal geschrieben hat,
aber auch die ältere Fassung ist nicht 100% die Hand­schrift.
Schon im älteren Druck sind die Vers­Nummern eingefügt und die ihmal-Zeichen und waṣl-Zeichen getilgt.
Die neuen Herausgeber stellen die neuen türkischen Norm­seiten her,
ayat berkenar ist nicht mehr genug; es muss immer das gleiche sein.



Im Orignial stehen die Vokalzeichen nur in der richtigen Reihenfolge, nicht genau beim Buchstaben:

Am Beginn von Ṭaha 94 sieht man zweilerlei:

1.) Die Türken vereinheitlichen alles:
Wenn nicht überall waṣl steht, kommt es überall weg!
Wenn unter einigen wau-hamza qṣr steht, kommt es überall hin,
wo wau-hamza nicht sowohl ḥarf al-madd und hamza-Träger ist.
Ḥasan Riḍā und Muḥ Amīn ar-Rušdī (2. und 4. Zeile, jeweils iraqi­sche Aus­gaben, die außer Vers­nummern und Suren­titel nichts ver­ändern) haben es nicht ge­setzt, weil sie keine Gefahr sahen, dass man es /ūʾ/ lesen könne.
1a) Diyanet tilgt alles, was es nicht versteht. In der obersten Zeile (die 14. Auflage eines Nach­drucks von Hafiz Osman, 1987) steht das waṣl-Zeichen noch, das man deutlicher in der dritten Zeile (Hafiz Osman Original) sieht ‒ heute ist es weg.
Sie haben nicht mehr verstanden, dass es an das (fehlende) alif-waṣl von Ibn erinnern soll.
2.) Die Türken nähern sich dem saudi­schen Standard ‒ still­schweigend ‒ an.
Jetzt schreibt man wie ad-Dānī es vorschreibt: drei Wörter als ein Wort,
was aber völlig okay ist. Zumindest im 1309er (hiǧri) muṣḥaf hat Hafiz Osman Junior selbst schon in einem Wort ge­schrieben.
Diyanet macht oft nur eine Collage, ver­schiebt auch Zeichen oder tilgt ein alif.
Sie bringen aber auch eine Ausgabe im Com­puter­satz heraus:

Hier die erste Zeile des letzten ǧuz im Vergleich: aus dem letzten von Hafis Osman Qayşzade geschriebenen muṣḥaf (heute in University of Michigan),
aus der Ausgabe Diyanet 2018
aus der südafrikanischen Taj-Ausgabe (mit 13 Zeilen je Seite,
        Waterval Islamic Institute, Johannisburg)
aus ʿUṯmān Ṭaha Medina

In the first and in the last line there is no extra space between words.
In the Ottoman text (first line) nabaʾi has a silent alif (silent because bāʾ has a normal fatḥa ‒ not a straight one).
Nethertheless, both rasm and sound are identical in all editions.
Mit etwas mehr Kontext, erst zweimal von HO Senior, dann zwei­mal vom Junior ‒ erstes und viertes aus Drucken, die mittleren aus Hand­schriften ‒ die ersten drei Original, die letzte Zeile be­arbeitet..

Montag, 27. Mai 2019

osmanische Drucke I

Eines der anregendsten Bücher zum Urkoran, Urislam stammt von einem Forscher, der davor für ganz Anderes bekannt war, dem Berner Berliner Reinhard Schulze:
Der Koran und die Genealogie des Islam
Trotzdem habe ich gerade eine Fußnote zu frühen Drucken geändert. Ich hatte mich darin auf Schulze und Bobzin (der sich auf Chauvin verlässt) ver­lassen. Da Schulze münd­lich mit­teilte, die frühen persischen, benga­lischen und osma­ni­schen Drucke, die er erwähnt hatte, in der Uni-Biblio­thek zu Bonn ein­gesehen zu haben, der Bib­lio­theks­kata­log aber keines der drei Exem­plare kennt, und sich die Exper­ten einig sind, dass es in Kon­stanti­nopel vor 1873 keine ‒ legalen ‒ Drucke gab, habe ich "seine" drei Drucke raus­geworfen.
Bevor ich zu den ersten Drucken in Kon­stanti­nopel komme,
von Google via Wiki­pedia zur Ver­fügung gestellte Anfangs­seiten eines osma­nischen Korans ‒ in Nastaʿlīq.

Wenn seitenlang über einen muṣḥaf geschrieben wird, wie es Michael W. Albin im Artikel "Printing of the Quran" der Encyclo­pedia of the Qur'an über den angeb­lich ersten im osma­nischen Reich, nämlich in der ägypti­schen Provinz des­selben, gedruck­ten macht, um am Schluss anzu­deuten, dass es ihn gar nicht gab, dann bin ich ent-zückt.
Deshalb gleich zu Beginn: die beiden ersten offi­ziellen osma­nischen Litho­gra­phien habe ich nicht gesehen, will sagen: im Netz kein Bild davon gefunden,
dass es sie viel­leicht ‒ trotz der reich­lich Lite­ratur dar­über ‒ nie gab:
Der erste soll von Aristide Fanton 1871/2 in London auf der Grund­lage eines muṣḥaf von Hafiz Osman dem Älteren, den Natıq Kemal besorgt haben soll, her­ge­stellt worden sein.
Der zweite ‒ erste IN Konstanti­nopel mit dem Segen des Staates ‒ gedruckte soll die Kopie eines von Şeker­zade Mehmed Efendi (d. 1166/1753) IN Medina geschrie­benen sein. Heute gibt es einen Reprint, ob von der Handschrift oder vom 1291/1875er Druck bleibt unklar.
((Nachtrag: M. Brett WILSON hat mir Bilder aus beiden Drucken zur Ver­fügung gestelle, dazu ein neuer Post.))
Sicher gibt es seit 1873 eine Flut von Drucken, meist von Hafiz Osman dem Jüngeren oder von Muṣṭafā Naẓīf geschrieben.
Manche in Moschen-Größe, manche auf schönem Papier mit Gold­rahmen.
Solche wurden an Moscheen, Schreine, Stif­tungen und Staats­männer ver­schenkt.
Andere kleiner, billi­ger. Sie wurden nicht nur von Kalli­graphen zum Kopie­ren, von Gelehrten zum Stu­dieren, sondern auch von Hand­werkern, Kauf­leuten und Gesell­schafts­damen gekauft und in großer Zahl Schulen zur Ver­fügung gestellt.
Sie wurden in Kairo eher selten (meist mit Tafsir), in Syrien immer wieder (bis 1960) ge­druckt.

Zumindest bis zu dem Krieg, den isla­mistisch-mili­tante ara­bische Staaten gegen die syrische Re­gie­rung an­gezet­telten, wurden in Aleppo "osma­nische" Koran­texte gedruckt.

und bis 1990 im ʿIrāq zwei ver­schiedene von staat­lichen Stellen gedruckt. In der Türkei sind sie schon lange (seit siebzig Jahren ????) meist (oder immer?) an den Standard der Religions­behörde ange­passt.
Doch selbst 1956 erschien in Kairo der 522seitige von Muṣ­ṭafa Naẓīf ganz original (bis auf Vers­ziffern statt Vers­ende­markie­rungen).
In Kein Standard gehe ich auf den ʿirā­qischen Staats­druck ein (666+ Seiten mit 13 Zeilen): 1370/1951 war der Erst­druck in der Maṭbaʿat Mudīriy­yat al-Masāḥa al-ʿAmma; 1386/1966 für den Irāq von Lohse, Frank­furt; laut Akram Takay 1972 und 1976 Nachdrucke in Frank­furt/Main; 1398/1978 im Gebet­buch­format mit Reiß­verschluss für die suʿudi­schen Regierung in West­deutsch­land; 1392/1972 in einfacher Ausführung in ʿAmmān
Es gab auch einfache Drucke in 30 Teilen:
1400/1979 in Qaṭar; 1399/1979, 1401/1981, 1402/1982 für Ṣaddām neu her­aus­gegeben, und wieder in Baghdad 1994.
Auch in der Türkei und im Libanon gab es laut Akram Takay Nachdrucke.
Die Vor­lage war 1236/1820/1 von Muḥammad ʾAmīn ar-Rušdī geschrie­ben worden und 1278/1861/2 von der Valide von ʿAbd al-ʿAzīz, PertevNiyal Valide Sulṭān, dem Schrein Junaids in Baghdād geschenkt worden, heute in der Biblio­thek des Grabes des Imām al-ʾAʿẓām ʾAbū Ḥanīfa auf­bewahrt.
In ähnlicher Aufmachung gab es Drucke von Ḥafiz ʿUṯmān und Ḥasan Riḍā.

rechts die Titelseite der Ausgabe Muḥ A. ar-Rušdī, in der Mitte die von Ḥasan Riḍā, links die Heraus­geber­schaft ‒ Heute gibt es im ʿIrāq zwei Behörden: Dīwān al-waqf as-sunnī und ... aš-šiʿī; beide geben maṣāḥif auf 604 Seiten heraus; die Sunniten über­nehmen für den Text Vektor­gra­phiken aus Medina (UT1), die Schi'iten haben den ʿirāqi­schen Kalli­graphen Hādī ad-Darāǧī schreiben lassen.
(Später werde ich noch einen Tehraner Druck vorstellen.)
rechts die erste "normale" Seite von M.A.ar-Rušdī, links von Ḥasan Riḍā:

Beachtenswert:
‒ in Zeilen 3,5,6,7,9: Wort­grenze zwischen Alifs
‒ in Zeile 2: vor (10) das hoch­gestellte yāʾ, welches Zehn be­deutet
‒ einige untergesetzte Ihmal-Zeichen, die sagen: kein Punkt

‒ genau wie bei Rušdi gibt es vor ḥurūf sākina   waṣl-Zeichen auf führen­dem Alif, sonst nicht. ( waṣl-Zeichen steht vor ḥarf sākin, also vor einem Buch­staben mit sukûn oder vor weg-assi­miliertem lām vor Buchstaben mit šadda; das waṣl-Zeichen ist über­flüssig; heute (im Stan­dard der türki­schen Republik) wird es weg­gelassen.)
‒ Das /fī/ in Zeile drei besteht nur aus Fehlern: Was machen die Punkte beim End-yāʾ? Was macht das Lang­vokal­zeichen vor Doppel­konsonanz? Und wieso steht das (Lang-)kasra über dem yāʾ statt darunter? ‒ Ist aber üblich so.
‒ in den Zeile 1,3 und 7 gibt es ǧazm-Zeichen über ḥurûf al-madd.
— dass man den Bezug zwischen ǧazm-Zeichen über dem ḥarf al-madd der ersten Zeile besser sieht, habe ich die Zeichen so plat­ziert, wie sie nach "modernem" Ver­ständnis sitzen müssen.


Freitag, 24. Mai 2019

Kairo 1308/1890




Hier die erste Stelle, an der man erkennt, dass nicht mehr "asia­tisch" geschrie­ben wird ‒ mit sieben Vokal-Zei­chen ‒, sondern "afrika­nisch": mit kleinen ḥurūf al-madd, wo er im rasm fehlt während man in Indien (Per­sien, Indo­ne­sien) ein LANG-ḍamma (auf Urdu "ge­drehtes ḍamma" الٹة پيش ulṭa peš. genannt).


In der Türkei und in Indien
jedoch mit gedrehtem kasra:
Hier 2:31 mit ʾādam "afrikanisch" also mit hamza-Zeichen vor dem Alif
statt "asiatisch" mit Lang-fatḥa nach dem Alif.
Nun Seite 3 mit einem osmanischen Text, dem von Būlāq 1313/1895, einer Warš-Ausgabe, der Kairiner Lithographie von 1308/1890 (muṣḥaf al-Muḫallalātī) und dem des Gizeh-Drucks.

Die Drucke von 1890 und '95 nehmen Gizeh24 vorweg; die "Revolu­tion" war keine.

Sonntag, 19. Mai 2019

Istanbul 1926

Ein anderer eher kurioser Druck entstand 1926 in Istanbul.
Er entfällt die ersten neun Suren, gesetzt nach osmanischer Schrei­bung.
Der Text enthält Verweisziffern. Unter dem Text gibt es eine Spalte mit Quer­verweisen innerhalb des Qurʾān und eine mit Verweisen zu Parallelstellen im Neuen Testament.

Wer Näheres über diesen Druck weiß, möge sich melden (Kommentar oder arnoas@live.de)




Genau wie Flügel

hat auch Wakefield über dem Sigel­buchstaben Alif am Anfang der Sure ein Madda-zeichen, was da nicht hingehört.

Nur ق ك ل م ن س ص ع bekommen es.

Donnerstag, 16. Mai 2019

Unicode – graphisch oder logisch (small meems)

Bei den Zeichen der arabischen Schrift ist Unicode prag­matisch, nicht syste­matisch. Man benennt die Zeichen zwar nach ihrer Funktion bzw. ihrer Abstam­mung (also ein Zeichen als Modi­fikation eines anderen Zeichen, das aber nicht nach seiner Gestalt, sondern nach seinem Laut-Wert oder seiner Funk­tion benannt ist),
nimmt aber Zeichen nicht nach ihrer gramma­tischen Funk­tion auf,
sondern nach ihrer Gestalt;
man arbeitet gewisser­maßen für Setzer, nicht für Sprach­wissen­schaftler.
Ich will das an einer Kritik Tom Milos an Unicode klarmachen.
Thomas Milo ist Setzer und Arabist; seine Kritik ist die des Arabisten.
Vier Zeilen aus seiner Unicode-Form des Nach­wort des Gizeh-Drucks von 1924:


Es geht hier um das kleine Mīm, das es – wie man in der letzten Zeile deut­lich sehen kann – in drei Höhen gibt.
(Ich habe am rechten Rand diese drei Zeichen wieder­holt.)
Milo kritisiert Unicode aber nicht dafür. dass sie das mitt­lere über­sehen haben, sondern dafür dass sie es zweifach kodiert haben, obwohl beide identisch seien.
Milo meint, da beide "nûn wird mîm gesprochen (iqlāb)" bedeuten, seien sie identisch und dürften nur einen Code-Wert haben.
Ich sehe es anders. Und auch ich setze dabei den Setzer-Hut und den Arabisten-Hut auf.
Ich fordere vier Zeichen,
Und nur eines der kodierten Zeichen ist richtig.
Die beiden letzten Zeichen in der letzten Zeile sind hohes kleines mīm über nûn sâkin (einmal am Wort­ende, einmal im Wort):
Dies ist das eigentliche iqlāb-Zeichen, es ist immer über dem nûn, ob ein bisschen höher oder tiefer, ist ohne Belang.
Die anderen drei Zeichen sind tanwīn-Zeichen und müssen des­halb – anlog zu dem gesta­pelten und den auf­einander­folgenden tan­wīn – dreifach kodiert werden: -am, -um, -im!
Wie alle tanwīns sitzen -am und -um über dem Buch­staben, -im darunter. Und wenn ein Buch­stabe tiefer endet (wie das Grund­linien-Hamza in der letzten Zeile), dann kann -am bzw. -um tiefer sitzen als über ṭā, ẓā, lām.
Die Annahme von Unicode, dass man fatḥa+iqlāb ver­wenden soll statt -am, führt dazu, dass ein elektro­nischer muṣḥaf zuviele fatḥas ent­hält und zu­wenig tanwīns.
Auch ich argumentiere pragmatisch.
Möglichst soll alles graphisch stimmen und grammatisch.
n → m , -am, -um, -im sehen unter­schiedlich aus und haben unter­schiedliche Funktion,
wandeln aber alle vokal­loses nûn vor bāʾ in mîm, sei es ein nûn im Wort, sei es in einer Kasus­endung.
Davon zu unter­scheiden ist das ebenfalls oben sitzende isolierte Mîm (das Unicode "Initial Meem" nennt), das eine obliga­torische Pause anzeigt (lāzim).
Und jetzt will ich, dass Sie noch mal genau hinsehen:
Am linken Rand gibt es zwei Mal (fast) das gleiche: ḍamma und Klein-Mīm,
aber die zwei Zeichen stehen in der dritten Zeile näher zusammen, sie sind EIN Zeichen, nämlich -um (iqlāb-ḍamma­tain).
Die zwei Zeichen in der letzten Zeile stehen weiter aus­einan­der, sie gehören nicht zusam­men,
sondern das ḍamma gehört zu dem Kon­sonanten über dem es steht, dem mīm,
und das Klein-mīm gehört zu dem Kon­sonanten über dem es geht, dem vokal­zeichen­losen nûn.

Donnerstag, 2. Mai 2019

Kabul 1352/1934

Der Gizeh-Druck von 1924 ist von Bedeutung,
‒ weil der den maghrebinischen rasm hat (im Großen wie Ibn Naǧāḥ),
‒ weil er die maghrebinischen Art, Langvokale zu schreiben, ein­führt
‒ die maghrebinische Art, Stummheit von Buchstaben zu bezeichen,
‒ die maghrebinische Art, Assimilation zu bezeichen,
‒ die maghrebinischen drei tanwīn-Zeichen einführt,
‒ die asiatischen zwei bis drei madd-Zeichen zu einem vereinfacht,
‒ weil er ein Nachwort hat
     wie die Muxalallātī-Lithographie von 1890 ‒ auch wenn dieses
     vorn eingebunden ist, beim Druck war es als NACH­wort geplant,
     wie viele indische/in­do­nesische Drucke
     vorn oder hinten Erläuterungen haben,
‒ weil er Wortabstand einführt,
     die meisten Ligaturen verbannt und
     grundlinienorientiert ist,
‒ weil er den Text setzt, ein wenig umplatziert im Offset-Verfahren druckt.

Die ersten drei Punkte werden in Ägypten schnell, im Rest Ostarabiens all­mählich übernommen.
Beim Wortabstand gibt es keine eindeutige Übernahme.

Šamarlī und der neue ʿUṯmān Ṭāhā haben nur minimalen,


die neuen türkischen dagegen über­nehmen nur dies und die Grund­linien­orientierung.


Typensatz + Offset-Druck übernimmt ein muṣḥaf,
der weitgehend un­be­achtet geblieben ist:
Der Kabuler Druck von 1352/1934

Gizeh 1924 und Kabul 1934 neben­einander.



Mittwoch, 1. Mai 2019

Namazgah... Kadirgah, Beşiktaş, Delhi, Kairo... Enzyklöpädie des Islam

Ursprünglich wollte ich das komplette "Kein Standard" in diesem Blog abwandern.
Es gab aber keine Kommentare, keine Reaktion.
Am 16.12.18. stellte ich ein Rätsel mit einem Photo aus dem Park von Kadirgah, dem Hafenbezirk der dem Marine-Kalli­graphen, Muṣṭafā Naẓīf, den BeiNamen gab, mit der Frage:
Was für ein Gebäude­typ ist das?
Da es keine Antwort gab, poste ich nur noch gelegentlich.
Die Antwort:
Es ist ein Namazgah, ein Gebets­platz unter freiem Himmel zur Ver­rich­tung des Pflicht­gebets auf Türkisch Namaz. Auch wenn das konkrete Gebäude, um das es geht, auch çeşme/Brun­nen genannt wird, ist es eher ein kleiner Şadır­van/ Was­ser­stelle für die rituelle Reini­gung ‒ plus Gebets­platz oben. Oben wird auch die Richtung nach Mekka ange­zeigt.
In und um Istanbul gab es früher über 100 solcher Gebets­plätze im Freien.
Im Belgrad-Wald gibt es einen beim Valide Bendi (Stau­damm der Sultans­mutter).
Uneingeweihten kommt er wie ein Pick­nick-Platz vor, und die beiden Stelen, die u.a. die Gebets­richtung angeben, sind in Osmanisch, das die wenig­sten Türken lesen können. Deshalb das ein­deutige Schild. (klicken Sie sich durch die Bilder).
Ein typischer Namazgah ist in Albanien erhalten.
Hier ist ein anderer in Istanbul (Achtung Musik, aber okay, falls nicht zu laut).
Ein kleiner, feiner tür­kische web site dazu.
Hier sind die Bilder älter = der Eisenzaun war noch niedriger ‒ die Bilder werden groß, wenn man sie anklickt.
Der Artikel dazu in der Enzyklöpädie des Islam ist leider typisch für die Zweite Ausgabe des Nach­schlage­werkes: Was im Artikel steht (the open structure built usually to the west of a town), ist irgendwie nicht falsch, fasst aber nicht den im Lemma genannten Gegen­stand: In J. Burton-Pages Artikel geht es nicht um "Namaz­gah (pers.)/ Muṣallā (arab.)", sondern um den indischen "ʿĪdgāh", der ganz anders ist als der Istan­buler. Er ist nicht für ein paar Reisende, Flaneure gedacht, denen der Weg zur näch­sten Moschee zu weit ist, die aber einen "Brun­nen" brauchen, um sich vor dem Gebet rituell reinigen zu können, in dem es keine Kanzel gibt, aber die Qibla angezeigt wird.
Der indische ʿĪdgāh ist viel größer: ein umfrie­deter Platz mit einer Mauer auf der Mekka zuge­wandten Seite ‒ mit Kanzel und ohne Brun­nen (weil man ent­weder hunder­te bräuchte oder Stunden warten müsste, bis alle "rein" sind. J. Burton-Pages Beschränkt­heit sieht man sehr schön darin, dass er a) schreibt die Gebets­plätze befänden sich west­lich der Städte, b) die Mihrab­mauer sei im Westen. Dabei meint er "Mekka zuge­wandt". Leider ver­wechseln viele Fach­leute, das Bisschen, was sie kennen mit "DEM Islam". Es gibt nicht nur öst­lich des Hiǧāz Muslime, sondern auch nord-west­lich, östlich, südlich und nördlich!
Und nicht jedes Gebets­haus, Versamm­lungs­haus sieht aus wie die Hagia Sophia
und nicht jeder Koran­druck wie der Kairiner Druck von 1952.

Auch in Indien und Zentralasien sind sie unter freien Himmel, aber viel größer, werden nur an beiden Hochfesten benutzt.
Deshalb heißen sie auch ʿĪdgāh.
Hindus nennen dies zwar Eidgah, es ist aber nur der Mihrab zum riesigen Platz davor, dem eigent­lichen Gebetsplatz.
sehr gut, in Türkisch
In Süddelhi gibt es noch einen, der aber nicht mehr in Gebrauch ist. Es handelt sich um den Hauz Khas Idgah, eigentlich Siri Idgah.
dazu ein Blog.
Wenn Sie Zeit haben und Englisch lesen, empfehle ich Sunken City Siri.

Zurück nach Istanbul, genauer nach Beşiktaş.
Westlich des Yıldız Parks, südlich der Yıldız-Hamidiye-Moschee des letzten wirk­lich regieren­den Sultans gibt es eine Jugen­stil-Moschee&Grab
von dem italienischen Archi­tekten, Raimondo d'Aronco, der 16 Jahre für den Sultan arbeitete, errichtet.
sehr gut, in Türkisch

Wenn Sie unter "Seyh Muhammed Zafir Tomb"
oder "Şeyh Zafir türbesi" suchen, müssten Sie fündig werden.

Enden will ich in Kairo.
Hinter der Azhar, in einer Sack­gasse neben dem offenen Gemüse­markt, findet man Maktabāt al-Bābī al-Ḥalabī. Sie haben noch viele alte Drucke und ver­kaufen auch das letzte Exemplar. Ein Archiv gibt es nicht.
Von einem anderen Mit­glied der Familie gibt es einen Laden nörd­lich der al-Husaini Moschee
und einen dritten an einem Kreis­verkehr in Gamaliya, wo die große Nord-Süd-Straße al-Manṣû­riya von al-Ḥarīrī ge­schnitten wird (genauer durch ein Platz-Kreis­segment ver­bunden sind); wenn ich vor­mittags vorbei­schaute, war der Laden immer geschlossen.
Versuchen Sie es am Abend.

Mittwoch, 24. April 2019

Mustafa Nazif Kadırğalı . . . . . . . . . . . .. . . . ..

Muṣṭafā Naẓīf Kadırğalı مصطفى نظيف الشهير بقدروغلى hat weder 106 1/2 maṣāḥif geschrieben, wie sein Zeit­genosse Hafez Osman, der Jüngere ‒ der Ältere lebte 200 Jahre früher ‒, noch hat man zehn seiner "Korane" nach­gedruckt, aber mit drei "Koranen" ist er stil­bildend wie kaum einer.
1262/1846 in Russe/Русе/Rusçuk/Rust­schuk im osma­nischen Bul­ga­rien ge­boren, wohin die krim­tartarische Familie ge­flohen war, 29.3.1331/ 8.3.1913 in Istan­bul ge­stor­ben, in Beşik­taş be­graben.
‒ in Ägypten, im Libanon und in Persien haben ver­schie­dene Ver­lage seinen 522-Seitigen (wohl 1891 in der Istan­buler Matbaa-i Osmaniye erschie­nen) 15-Zeili­gen   pur, mit Wort­er­klärungen und mit Kom­men­tar verlegt.
‒ Sein 604-Seitiger 15-Zeiliger wurde in Istan­bul in mit schwarzer und roter Schrift plus Goldrahmen auf kräftigem Papier gedruckt,

ebenfalls in Istanbul hat man diesen muṣḥaf in Atlas-Größe gedruckt,

in Iran 1965
in Deutschland gab es eine wohlfeile schwarz+rote Ausgabe
und in Indo­nesien hat man ihn ständig ein­farbig nach­gedruckt (er­weitert um das Lang-ḍamma-Zeichen).
Von 1944 bis 1975 hat Šamarli den 522sei­tigen MNQ (ab den 50ern mit den Q52-Zeichen) verlegt.
Hier zwei halbe Seiten aus dem 522er,
links nach den afro-arabischen Regeln Q52,
rechts im Original, nach Osm.
Und hier mit Worterklärungen, in Bairût verlegt ‒ Orthographie Q24


Hier ist der Koran nach Osm,
erschien zu MNQs Lebzeiten in Kairo
(bei Muṣṭafā al-Bābī al-Ḥalābī)
hier ist ein Blatt los, man erkennt trotzdem den Anfang von Baqara
Bis heute erlebt der von al-Ḥaddād zeilen­identisch nach­ge­schrie­bene ägyp­tische 522-Seiten-muṣḥaf Neu­drucke ‒ in allen Größen, in Plastik- und Karton-Einband, mit Reiß­verschluss und ganz bunt. Er ist unter dem Ver­leger als Šamarlī berühmt und bei Ägyptens Armen bis heute beliebt.
Über zehn verschiedene Verleger haben in Kairo seine 522 Seiten nach­ge­druckt, in den 1930ger u.a. ʻAbd al-Ḥamīd Aḥmad Ḥanafī und das Innen­ministe­rium.
Hier sieht man, dass MNQ ‒ vielleicht mit Aus­nahme der ersten und letz­ten Seiten ‒ nur ein paar Mal alles ge­schrie­ben hat, die Ver­leger dar­aus viele unter­schied­liche Fas­sungen zau­ber­ten.

Manchmal schöner
manchmal handlich und preis­wert ‒ von ʿAlī Yūsuf Sulaimān 1956 in Kairo


1966 könnte er zum letzten Mal in Kairo nachgedruckt worden sein
Wie volkstümlich die Ausgabe auf 521 Seiten (plus Titel­blatt) in Ägypten immer noch ist, erkennt man daran, dass KFC ʿUṯmān Ṭaha erst bat die Lesung ad-Dūrī und dann auch Ḥafṣ auf 522 15-zeilige Seiten zu schreiben.
Hier die letzte Seite neben­ein­ander:

und hier die erste nach den beiden Schmuck­seiten neben der ent­spre­chen­den Seite aus dem Kai­riner Druck von 1911:


Aus einer Ausgabe mit schwarzen und roten Madd-Zeichen

Eine Ausgabe mit 17 Zeilen je Seite, 485 Seiten ‒ die letzte Sure steht auf S. 486, weil das Titel­blatt mit­gezählt wird ‒ wurde in Damaskus auf Glanz­papier "edel" und in Deutz in wat­tier­tem Plastik­umschlag preis­wert ver­öffent­licht, nur die deutschen Türken geben den Kalli­gra­phen an.



1311/1898 soll Dāʾirat al-Maʿārif in Hyder­abad al-Qurʾān al-Karīm von ihm her­aus­gebracht haben.

Afrika vs. Asien (Maġrib oder IPak)

Es gibt viele verschiedene Arten, den Koran zu schreiben. Man kann sie in zwei Grup­pen einteilen: Afrika, Andalusien, (seit 1924 bzw. 198...