Seit 1972 in einem zugemauerten Dachboden der Großen Moschee von Ṣanʿāʾ Tausende sehr alter Koranfragmente entdeckt wurden, genauer seit 2004 Sergio Noga Noseda hochaufgelöste Farbphotographien herstellen durfte, seit Wissenschaftler erkannt haben, dass Blätter, die in bis zu sieben verschiedenen Sammlungen aufbewahrt werden, zusammen gehören und man diese ‒ dank online- bzw. Druck-Publikationen ‒ studieren kann, seit man Tausende in Stein geritzte Kurztexte aus Syrien, Jordanien und Sa'udi-Arabien (immer besser) lesen kann, ist die Erforschung der arabischen Sprache und Schrift der Jahrhunderte unmittelbar vor und nach Muḥammad der aufregendste Teil der Islamkunde.
Seit der Zerstörung der Zwillingstürme in Manhattan sind Überlegungen über den Islam
als spätantike Zivilisation und/oder mit Judentum und Christentum verwandte Religion besonders beliebt.
Leider äußern sich die ExpertInnen auf diesen interessanten Gebieten auch zu einem Thema, das sie nicht studiert haben ‒
weil nicht interessant genug ‒ und schreiben dazu fast nur Unsinn.
Auf dem Gebiet der gedruckten Koran-Ausgaben muss aufgeräumt werden. Und das will ich hier tun.
Viele deutsche Orientalisten bezeichnenden den amtlichen ägyptischen Koran von 1924/5 als „den Standardkoran“, andere nennen ihn „Azharkoran“.
Über die König-Fuʾād-Ausgabe, den Gizeh-Koran, den Vermessungsamt-Druck (المصحف الشريف لطبعة مصلحة المساحة المصرية),
dem 12-Zeiler (مصحف 12 سطر), zirkulieren viele falsche Ideen. Einige glauben, eine Handschrift vor Augen zu haben.
Nachtrag 2025: So kürzlich Asma Hilali in einem dem 1924er Koran gewidmeten Sonderheft der Zeitschrift der Kairiner Dominikaner MIDEO:
« Muḥammad ʿAbd al-ʿAzīz al-Rifāʿī (m. 1936) éta[i]t le calligraphe [et l'éditeur] du Coran du Roi Fuʾād. »
Andreas Ismail Mohr und Prof. Dr. Murks nennen die Ausgabe „Typendruck“.
Dabei macht das Nachwort ‒ von 1926 bis 1951 noch deutlicher als 1924/5 und seit 1952 ‒ alles klar.
Die von Ägyptens
šaiḫ al-maqāriʾ Muḥammad ibn ʿAlī ibn Ḫalaf
al-Ḥusainī al-Mālikī aṣ-Ṣaʿīdī
al-Ḥaddād (1282/1865‒1357/ 22.1.1939) ‒ nicht zu verwechseln mit dem Kalligraphen
Muḥammad ibn Saʿd ibn Ibrāhīm al-Ḥaddād (1919‒2011) ‒
geschriebene Textvorlage wurde in Būlāq mit fünf Etagen je Zeile gesetzt (Pausenzeichen;
fatḥa, damma, sukūn; Buchstaben [bei Grundlinien-
hamza inkl. des Vokalzeichens];
kasra; Abstand). Daraus wurden im Vermessungsamt ‒ wo man mit dem Drucken von Landkarten
schon Offset-Erfahrung hatte ‒ Druckplatten. Dort wurde auch gedruckt.
Typendruck ist ein Hochdruckverfahren. Die Typen hinterlassen auf dem Papier kleine
Vertiefungen: drücken die Druckerschwärze in das Papier. Offset ist ein Flachdruck-Verfahren,
bei dem das Papier die Farbe aufsaugt; Vertiefungen kann man nicht finden. Mit den Augen sah Mohr,
dass es nicht handgeschrieben war. Dass man aber Typendrucke nur mit dem Tastsinn
(nicht dem Gesicht) erkennen kann, weiß er nicht. Und Prof. Dr. Murks auch nicht.
„Das ist doch Unsinn, statt aufwändig zu setzen und das EINmal zu drucken,
kann man doch besser einen Kalligraphen schreiben lassen.“ Das verkennt
den technoiden Genauigkeitssinn der Herausgeber von 1924.
Bis heute gibt es außer ʿUṯmān Ṭaha (UT) niemanden,
der so genau ist wie der Setzkasten oder der Computer.
Zwei Beispiele zu Veranschaulichung.

Während bei UT klar
yanhā zu lesen ist,
steht in der wunderschönen osmanischen Handschrift
naihā;
während die drei Vokalzeichen
(fatḥa, sukūn, Lang-ā) klar in der richtigen Reihenfolge stehen (es geht ja nicht anders, sie stehen ja alle oben), steht
nūn (vielleicht) vor
yāʾ (kommt der
nūn-Punkt vor den
yāʾ-Punkten). Übrigens haben die beiden „Zahn“-Buchstaben bei UT einen Zahn oder Stachel, aber keinen im Hof-Osmanischen! Während es bei UT zwischen
heh (ich benutze den Unicode-Namen zur deutlichen Unterscheidung von
ḥāʾ) und
alif maqṣūra klar nichts gibt, könnte da im osmanischen durchaus ein Zahn sein: Man brauchte nur zwei Punkte darüberzusetzen und es wäre
hetā oder so.
Zweites Beispiel:
wa-malāʾikatihī Während im amtlichen Koran (unten) und bei UT (Mitte) VOR dem Zahn über der Grundlinie ein Ersatzalif-mit
-madda schwebt, schwebt im
Muṣḥaf Qaṭar (oben) unter der Grundlinie ein
hamza-kasra NACH Wandel-Alif mit
madda, das den
yāʾ-Zahn in ein (dehnendes) Alif wandelt. Das ist nicht schlimm (Klang und
rasm sind ja gleich), ist aber eine andere Orthographie und darf nach der Vorstellung von Menschen, die im Koran kein Ungefähr dulden, nicht sein.
Nun die ganze Seite 3 im Vergleich. Gizeh-Druck und UT: die Amiriya ist kalligraphischer als UT, was man an den Beispielen am rechten Rand erkennt.
Alles in allem folgt UT der Vorgabe. Grundlinie und klares
von rechts nach links. Nur beim Abstand zwischen Wörtern ist er weniger modern als die Amiriyya (weshalb Dar al-Maʿrifa den Abstand vergrößert hat).
Ebenfalls von Seite 3 Vergleich von Muṣḥaf Qaṭar und UT. Im ersten und letzten Beispiel setzt Abū ʿUmar ʿUbaidah Muḥammad Saliḥ al-Banki die
yāʾ-Punkte nicht GENAU unter den Zahn (im ersten Fall wegen des nahen
nūn, im zweiten Fall aus Nachlässigkeit). Drei Fälle zeigen Zahn-Buchstaben ohne Zahn. Und ein Knuddel-
mīm, was dessen Vokalzeichen (für moderne Leser) falsch sitzen lässt: das
mīm steht rechts vom
lām, das
mīm-Vokalzeichen steht aber links, weil das
mīm nach dem
lām zu sprechen ist. Es steht also zu Recht „falsch“.
Bevor ich aufhöre (für Heute): ein Stadtplan von Kairo 1920, auf dem ich die Amīriyya und das Grundbuchamt mit Pfeilen in Nil gekennzeichnet habe, außerdem Midan Tahrir und die Stelle, wo neuerdings die Regierungsdruckerei ist. Ferner das Erziehungsministerium und die Nāṣirīya, wo drei der Herausgeber tätig waren.
Alles rechts des Nils plus den Inseln ist Kairo, alles links davon (Imbaba, Doqqi, Gizeh) gehört nicht nur nicht zur Stadt Kairo, sondern liegt in einer
anderen Provinz.
Wichtig: Setzerei und Offset-Werkstatt waren mit Auto, Straßenbahn und Boot gut verbunden. Die montierten Seiten hatten keinen weiten Weg.

Die beiden arabischen Texte sind die Druckvermerke von 1924 und 1952, beide aus den Exemplaren der Preußischen Staatsbibliothek, die fünf Ausgaben besitzt.
Und hier die allerletzte (unpagnierte) Seite des Urdruck.