Samstag, 9. Februar 2019

Quatsch gebiert Quatsch

Prof. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Angelika Neuwirth ist sich der Verantwortung als Grande Dame nicht bewusst.
Sie schreibt kompletten Unsinn:
der verschriftlichte[] Koran­kodex, muṣḥaf, [wurde] durch … Überlieferung durch die Jahrhunderte weiter­tradiert …, um schließlich im letzten Jahr­hundert, im Jahre 1925, in die Form eines gedruckten Textes einzugehen.
Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, Berlin: Suhrkamp 2010. p. 190
Das führt dazu, dass im Netz 3x ‒ in der NZZ, bei qantara.de und bei www.ite-dasmagazin.ch steht:
Bereits zwanzig Jahre nach Mohammeds Tod beendet der dritte Kalif Othman den Streit um die Schrift. Er ent­scheidet, welche Verse aus dem Mund des Gesandten stammen und damit gültig sind. … In dieser bis heute im grössten Teil der arabischen Welt als allein ver­bind­lich gelten­den Text­gestalt wird der Koran erstmals 1924 von der Azhar-Universität in Kairo gedruckt.
Zu diesem Zeitpunkt gab es ‒ selbst wenn man vom venezianischen Druck und denen für europäische Gelehrte absieht ‒ schon weit über hundert Jahre gedruckte Korane (St.Petersbur, Kazan, Persien und vor allem in Indien ‒ Gizeh 1924 war auch nicht der erste "inner­islamische" (Spät­antike, S.30, Late antiquity, p.8); Text, Kommentar und Type der St. Peters­burger aus dem späten 18. Jahr­hunderts waren von Muslimen)
und schon fünfzig Jahre lang in Hülle und Fülle.
Aber Neuwirth hat keine Zeit, ihre Angaben zu überprüfen, keine Lust, nachzudenken oder Korrektur­lesen zu lassen.
Wenn man den Kinder­quatsch ganz genau nimmt, ist er gar nicht so falsch wie das, was Neuwirth schreibt.
Neuwirth bezieht sich immer auf die islamische Welt und da gab es schon hunderte Ausgaben vor 1924.
Der Kinderquatsch spricht vom "größten Teil der arabischen Welt", wo sich 1977 und 2002 ver­öffent­lichte Abschriften der 1952er Fassung ‒ die an über 800 Stellen von der 1924er Fassung abweicht ‒ durch­gesetzt hat. Man könnte also sagen: Das stimmt also irgendwie.
Ich bin aber der Ansicht, dass das fast alle Leser missverstehen, weil sie gar nicht wissen, dass 4/5 der Muslime keine Araber sind -- und Inder, Indonesier, Türken, Nord- und Westafrikaner haben mit dem 1924er, dem 1952 und auch seinen Abschriften nichts zu schaffen. (Mit "Indien" meine ich den Kulturraum: Pakistan, Bharat, BangaDesch, Ceylon, Nepal, Surinam, Mauritius, Natal, Batley, Birmingham, London bzw. Teile davon.)

Montag, 4. Februar 2019

Quatsch von den Experten

Weil Bergsträßer, Neuwirth, Bobzin Qurʾān-Experten sind, müssen wir bei Ihnen beson­ders auf der Hut sein.
((Desgleichen bei Fran­ҫois Deroche)) Auch sie wissen nicht Alles ‒ und über ein Rand­gebiet, für das sie sich gar nicht inter­es­sie­ren, erst recht nicht.
Ich behaupte, Bergsträßer hat sich wohl gerade mal éine per­sische Litho­gra­phie ange­schaut und KEINEN maghre­bi­nischen Druck STUDIERT (und auch keinen indi­schen); sonst hätte er den Quatsch, den er ge­schrie­ben hat, nicht ge­schrieben.
Neuwirth und Bobzin könnten den 1924er nicht an­geschaut haben, bevor sie schrie­ben, was sie ge­schrie­ben haben.
Wie sonst machte die eine in den Fuß­noten falsche Angaben zum Titel?
Wie sonst, nennte der andere ihn „Azhar-Koran“, obwohl in dem langen Nach­wort zwar der König erwähnt wird und al-Ḥusainī al-Ḥaddād, der Oberste Leser Ägyptens, der ihn ge­schrie­ben hat? (im 1925er Nach­wort korri­giert: den Ursprung, die Vor­lage zum Setzen ge­schrie­ben hat)
Was berechtigt Bobzin, etwas was Berg­strä­ßer wieder und wieder „den amt­lichen (ägyp­ti­schen) Koran“ nennt, der sich selbst (in der Widmung) „al-muṣ­ḥaf al-karīm“ und (in den Erläute­rungen/at-taʿrīf) „al-muṣḥaf aš-šarīf“ nennt und im Text „Azhar“ nicht benutzt, „Azhar-Koran“ zu nennen?
Nix!
Bergsträßer, der ja wenige Jahre nach dem Druck mit dem Haupt-Her­aus­geber geredet hat, macht klar, dass ein Šaiḫ der Azhar-Univer­sität die Rich­tig­keit des ohne ihn ge­mach­ten Werkes nur be­stätigt hat.
Ich gehe so weit zu sagen, dass ein Azhar-Koran 1924 ein Ana­chro­nismus wäre.
Berg­sträßers Exemplar trägt den Präge­stempel ṭabʿat al-ḥukūma al-Miṣrīya sanat 1343 hiǧriyya
Der Druck wurde am 7.12. (ḏu l-ḥiǧǧa) 1342/10.7.1924 abge­schlos­sen.
Doch aufgepasst!
Die Behauptung, dass der Druck abge­schlossen worden sei, steht in dem Buch,
muss aber nach „Abschluss des Druckes“ ge­setzt und ge­druckt worden sein!
Wenn es keine Mystifi­ka­tion ist, dann muss man die Aussage so deuten:
Der Druck des qurʾāni­schen Textes selbst sei am 7.12.1342 abge­schlossen worden,
das ganze Werk inkl. der Wid­mung an den König, der ‒ hier wie auch sonst in der Zeit in Ägypten ‒ als „Fuʾād der Erste“ bezeichnet wird, obwohl es noch gar keinen „Zweiten“ gab und des­halb kor­rekter­weise schlicht „Fuʾād“ heißen muss, ganz so wie der ak­tuelle Papst „Franzis­kus“ heißt und das „I“ erst bekommt, sobald es einen „II“ gibt,
kann erst danach abge­schlossen worden sein.
Von der Bindung des Werkes ‒ Qurʾān, Widmung, taʿrif, ḫātima, Index und Druck­ver­merk, jedoch ohne Titelblatt, aber mit Präge­stempel ‒ abge­sehen!
Für die Ver­öffent­lichung gilt also nicht das im Druck­vermerk an­gegebene 1342, sondern das vom Präge­stempel: 1343, welches Anfang August 1924 begann, aber wohl erst 1925 geschah, denn das Binden brauchte damals Zeit; erst dann konnte das Werk erscheinen.
Der Text, der danach bloß noch tech­nisch umge­SETZT wurde, lag aber schon am 13.1.1919 fertig vor.
Dies bestätigte außer dem Schreiber selbst, besag­tem Ober-Rezitator, auch Ḥifnī Bey Nāṣif, ehe­maliger Leiter der Arabisch­abteilung im Erzie­hungs­minste­rium und zwei Pro­fessoren an der Pädago­gi­schen Hoch­schule an-Nāṣi­rīya ‒ direkt neben beim Ministe­rium: zwischen Garden City und as-Saiyida Zainab gelegen ‒, der Korek­tur­leser der Staats­drucke­rei und ein Azhar-Šaiḫ
‒ angeb­lich 1919, in Wirklich­keit aber erst 1924 (= nach dem Druck, vor dem Binden), eine Bestäti­gung der Rich­tig­keit der Vorlage für den Setzer reicht ja nicht, um den Käufern und Lesern die Rich­tig­keit des Druckes zu bestätigen.
Warum das fungierte Datum 10.4.1337 /13.1.1919?
Weil Ḥifnī Bey kurz danach gestorben war ‒ und aus dem Grab konnte er schlecht unter­schreiben.
ʿAbd an-Nāṣir hat die Azhar aber erst Jahr­zehnte später ver­staat­licht, sie ein biss­chen zu einer ägyptischen Diyanet İşleri Başkan­lığı gemacht. Erst dann konnte die Staats­drucke­rei den Staats­mufti und Chef der staat­lichen isla­mi­schen Univer­sität dazu bewegen, ihnen zu er­lauben, einen völli­gen Neu­druck des amtlichen Korans als „muṣḥaf al-Azhar aš-šarīf“ zu ver­markten.
Bobzins Behauptung, dass es nach 1924 eine Welle an Koran­drucken ge­geben habe, ist bloße Behauptung.
Doch wenn es sie ge­geben hat, hat sie sicher mehr mit Technik ‒ Offset ‒ zu tun, als damit, dass zum ersten Mal ein fester Text vor­ge­legen habe ‒ seine dritte falsche Behaup­tung in éinem Satz.
Es gab vor 1924 drei feste Texte:
den marokkanischen,
den indischen,
den osmanischen und
‒ weniger fest, d.h. mit einer kleinen Schwankungs­breite: ‒ den persischen.
(Und heute gibt es die drei festen, mehrere iranische und indonesische ‒ plus Kazan.)
Was 1924 geschah: Ägypten schrieb den marok­ka­ni­schen rasm statt den osmanischen,
über­nahm auch die marokka­ni­schen Zusatz­zeichen (plus Ver­besserung beim sukūn), die marok­ka­nische Dif­feren­zierung beim tanwīn, die marok­ka­nische Teilung eines ǧuz in zwei aḥzāb (statt in vier wie im osmani­schen Reich);
ver­zichtet ‒ wie Marokko ‒ auf nūn qutnī und Zeichen für bas­rische Zählung, sowie ihmal-Zeichen;
vergrößerte Wort- und Zeilen­abstand, benutzte weniger Ligaturen;
erhöhte ‒ wie einzig Reinhard Schulze feststellte ‒ die Les­bar­keit für die gemeinen Araber*in
und machte bei den Pausen­zeichen einen Kom­promiss zwischen Indien und Marokko.



Auch ich habe dem Experten blind geglaubt.
Bergsträßer schreibt:
„Quelle für diesen Konsonaten­text sind natürlich nicht Koran­hand­schrif­ten, sondern die Literatur über ihn; er ist also eine Rekon­struk­tion, das Ergebnis einer Um­schrei­bung des üb­lichen Kon­sonanten­textes in die alte Ortho­gra­phie nach den Angaben der Literatur.“
Das hat ihm der Chefherausgeber so weis­gemacht, und ich habe es geglaubt und schreibe das auch so in „Kein Standard“.
Stutzig wurde ich, als ich fest­stellte, dass 60 Jahre später in Medina und Tunis im Nachwort „meistens“ ein­gefügt wurde: Man hält sich meistens an Ibn Naǧāḥ, sonst an ad-Dānī.
Nirgends wird erklärt, nach welchen Kriterien, mal so, mal so.
Geht man der Sache auf den Grund, liegt Folgendes nahe:
Der Herausgeber haben den Text gar nicht ab ovo rekon­struiert, sondern hat den Text ‒ soweit Warš nicht von Ḥafṣ abweicht und die Stellen kennt der Ober-Rezitator aus­wendig ‒ aus Marokko (oder einer Kairiner Warš-Ausgabe) über­nommen ‒ sein rasm ist weder ad-Dānī (wie vorher bei Muḫallalātī und später in Lybien), weder 100% Ibn Naǧāḥ (wie behauptet), noch 100% al-Ḫarrāz (dessen Auswahl aus den beiden), auch nicht 100% der gemeine marok­ka­nische rasm, aber sehr nah dran: Es gibt nur gut hun­dert Stellen, an denen al-Ḥusainī al-Ḥaddād ein (normales) alif hat, wo in Marokko keines steht oder um­ge­kehrt.
Selbstverständlich anders sind die Stellen, an denen anders gelesen wird.

Merkwürdig ist, dass Brockett Berg­sträßers LOB, dass der Text nach ad-Dānī rekon­struiert sei, statt ihn einfach von jüngsten guten Vorgänger abzu­schreiben, als "criticism" bezeichnet (Brockett: Study p. 87). Es will mir nicht in den Schädel, dass Brockett, der viel von Berg­sträßer gelesen hat, ihn so miss­ver­stehen kann. Berg­sträßer und sein Schüler Pretzl hatten gerade ad-Dānī entdeckt und waren begeistert, dass auch muslimi­sche Gelehrte diesen hoch­hielten, behaup­teten, der ihnen bestens vertrauten Laut­gestalt dank Dānīs Muster­bögen wieder das alte Schrift­kleid gegeben zu haben ‒ auch wenn sie dieses ‒ wie ich vermute ‒, weitgehend maghre­binischen maṣāḥif ent­nommen hatten.

Iran VI (1886)