Samstag, 22. Februar 2020

fragliche Schreibung

Vor zwei Monaten zwitscherte ein nieder­ländi­scher Fach­mann für semitische und Berber-Sprachen, dass der rasm der Amiriyya-Ausgabe (König-Fuʾād-Ausgabe, von ihm "the Cairo edition" genannt) ohne Berück­sichti­gung von Hand­schriften festgelegt worden sei.
Über elf Jahre bin ich bei Twitter, habe aber nie gezwitschert, retweeted oder geliked. Doch da musste ich widersprechen. Er könne sagen "EARLY mss." und sollte zur Kenntnis nehmen, dass der Macher der KFA keine Hand­schriften studiert habe, sondern "nur" die anda­lusi­sche Litera­tur über Hand­schriften, und deren Autoren hätten eher solche aus dem dritten Jahr­hundert als aus dem ersten kon­sultiert. Außerdem solle er nicht so tun als sei "the Cairo edition" der Standard.
Daraufhin hat der genia­lische Linguist seien Tweet gelöscht und durch einen neuen ersetzt, zu dem mein Kommen­tar nicht mehr passte. Für mich ein Hin­weis, dass man bei Twitter nicht ping-pongt. In einem neuen Tweet geht es um die Schrei­bung von iǧtabā-hu/ er wählte ihn (20:122, 68:50, 16:121).
Darin hat er "the Cairo edition" durch "the modern print editions" ersetzt, was einer­seits ein seman­tischer Fort­schritt ist (weil es über tausend "Cairo editions" gibt, denn "edition" is als "the entire number of copies of a book, news­paper, or other pub­lication printed at one time from a single setting of type" definiert = Auf­lage), bringt aber nicht viel, weil er DIE gedruckten Aus­gaben als STANDARD bezeichnet.
Es will mir nicht in den Kopf, wie ein Mensch, der in einem Land lebt, in die Mehrheit der Muslime aus Marokko stammt, umgeben von Ländern, in denen die meisten aus der Türkei, aus dem Maghreb oder aus dem indischen Sub­kontinent stammen, so tun kann, als sei die Schreib­art des qurʾān Standard, die (seit etwa 1983) im arabi­schen Osten maß­gebend ist, DIE Schreib­art sei.
Wie kann man über­sehen, dass sich die Amiriyya-Ausgabe erst in dem Gewand der ʿUṯmān-Ṭaha-Ausgaben durch­setzte, und weder in Indien, der Türkei noch in Indo­nesien benutzt wird? Auch in West­afrika, Iran und Zentral­asien ist sie nicht maßgebend. Ein Fünftel der Muslime sind nicht DIE Muslime!
Schauen wir uns moderne Drucke (plus einer Handschrift) an.
Erst eine indische aus Johannes­burg, dann eine indische aus Djakarta:






Die zwei Stellen von der türkischen Behörde:




Und als Dreingabe aus der Handschrift von Mehmet Şevki Efendi:



Vier aus Iran ‒ so viele, weil es hier keinen Landes-Standard gibt:


Kabul 1353/1934

und aus Libyen:




In all diesen modernen Druckausgaben ‒ was doppeltgemoppelt ist: Drucke gibt es erst in der Moderne ‒ hat das Wort drei Zähne: tāʾ, bāʾ, yāʾ; dass Türken yāʾ-Punkte darunter setzen, die anderen diese weglassen, ist sekundär.
Doch nun aus dem muṣḥaf zum 25. Thron­jubiläum von Ḥasan II von Marokko:



Algerien


Aus der KFA:


Sowie der "moderne Druck" von Tom Milo, den es nur online gibt ‒ komi­sche Vor­stellung hat der verrückte Linguist von "print":


Es gibt also einen "asiatischen" Standard mit yāʾ für das /ā/ und einen "afrikanischen" ohne yāʾ an zwei der drei Stellen.
Übrigens gibt es in Arabien immer noch tafsīr-Ausgaben, bei denen der Kom­men­tar um einen nach os­mani­schen Regeln geschriebenen muṣḥaf steht (hier also immer mit drittem Zahn). Bis in die 50ger Jahre in Ägypten, den 70gern in Syrien und noch nach 1980 im ʿIrāq, in Qaṭar und Saʿūdīa gab es osmanische Drucke, die nicht dem "Stan­dard" des spinner­ten genialen Gelehrten folgen.
Und das KFKom­binat in Medina druckt für Asiaten eine Ausgabe, die diesen recht erscheint, sowohl rein arabisch wie mit Über­setzungen in den süd­asiati­sche Sprachen (inkl. Perisch):


Zig ProfessorInnen, die Druck­ausgaben für so unwichtig (und leicht zu ver­stehen) halten, dass sie sie nie studiert haben ‒ das scheinen außer mir nur A.A. Brockett und G-R Puin getan zu haben ‒, schreiben trotz­dem darüber ‒ fast nur Unsinn.

Doch der Amster­damer Professor hat zwei Gebiete ‒ Gewinn bringend ‒ studiert:
die Aus­sprache des hiǧāzi­schen Arabisch im 7. Jahrhundert und
die Schrei­bung in den frühen (!) Koran­handschriften.


Und siehe da: Die Hand­schriften-Daten­bank von Corpus Coranicum bringt es an den Tag:
die Schreibung mit drei Zähnen (also yāʾ für /ā/) war normal.
Später taucht mit Schreibung mit alif auf:

(ich habe das hāʾ /hū/ aus der nächsten Zeile nach oben kopiert, Worte können in den frühen Mss. ohne Trennstrich auf zwei Zeilen verteilt sein.)



Der Linguist vermutet, dass der afrikanischer Standard auf einer Aus­legung (!!!) des Buches von Abu Daʾūd Sulaimān Ibn Naǧāḥ beruht, der eben nicht die frühen (!!) Hand­schriften ausgewertet habe.
In der Tat hat der Herr etwas entdeckt,
entdeckt, dass die nord­afrika­nische Schreibung nicht der ʿuṭmāni­schen ent­spricht,
nur dass er damit nicht DEN Standard entkräftigt, sondern nur einen.

Zum Schluß noch eine Kritik an Milos Muṣḥaf Muscat, aus dem der Linguist 2:102 zeigt:
Milo macht es ganz anders als KFA und UT2.
Während die Modernen die Vokal­zeichen genau über/unter "ihrem" Kon­sonan­ten setzen,
die Buch­staben immer von rechts nach links zu lesen sind,
steht bei Milo der zweite Buch­stabe mīm an erster Stelle, "sein" fatḥa aber weiter links ‒ über einem Streck­strich (wie häss­lich!);
der /ā/-Dolch steht vor dem yāʾ, das durch ihn zu Alif ge­wandelt wird ‒ und nicht hinter dem fatḥa, das durch es gelängt wird.
Übrigens steht der Wandel-Dolch auch in der KFA und bei UT falsch: Er ist ja kein Vokal, der nach einen Kon­sonanten steht, sondern wan­delt das yāʾ in ein alif, müsste also über dem yāʾ stehen.
Der ästhetische Reaktionär hat zwar die Schrift­regeln des Hof-Osma­ni­schen ver­standen, aber nicht die klaren, deutliche Schreib­regeln der KFA.

Ein madda-Zeichen längt keinen Konsonanten (hier nūn) – das besorgt ein šadda -> es muss über dem Vokal­buch­staben (ḥarf al-madd) stehen. Vor 150 Jahren, als nur 1% der Gesamt­bevöl­kerung las, war das okay; heute ist es schlicht falsch.

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