Freitag, 23. April 2021

les savants d’al-Azhar

Wie Bobzin sich mit dem Koran auskennt, und doch nicht mit dem 1924er Gizeh-Druck, so kennt sich Franҫois Deroche mit frühen Hand­schriften aus, aber nicht mit der König-Fuʾād-Ausgabe.
In seiner Antritts­vorlesung am Collège de France sprach er von »les savants d’al-Azhar [qui] mirent au point l’édi­tion qui, à partir de 1923, s’est peu à peu imposée tant aux commu­nautés musul­manes qu’à ceux qui étudient le Coran selon une approche scien­tifique«.
Es ist nicht nur falsch, dass diese Aus­gabe sich in DEN musli­mischen Gemein­den durch­gesetzt habe ‒ in Wahr­heit setzte sich ihre Recht­schreibung (in leicht mo­di­fi­zier­ter Form) erst durch, nach­dem ʿUṯmān Ṭaha eine Fassung auf 604 Seiten hand­ge­schrie­ben hatte, und vor allem: NUR bei Arabern und Sala­fisten, sowie in Malaysia.
Es ist nicht nur falsch, dass sie seit 1923 existiere. Es war wohl erst 1925 fertig ge­bunden.
Vor allem aber hat die Ausgabe mit der Azhar so gut wie nichts zu tun. Der Text des Qurʾān und der des Nach­wortes, den nach­gestellten Infor­ma­tionen, stammt vom Chef­rezi­tator Ägyptens, nicht von Gelehr­ten (savants) der Azhar.

NB: Im Azhar-Muṣḥaf von 1976 wird "Azhar" nicht erwähnt, die Informatio­nen nach dem qurʾānischen Text sind von ʿAbd al-Ḥalīm Maḥmūd, von 1973 bis zu seinem Tod 1978 Šaiḫ al-Azhar, unter­zeichnet ‒ seine Funk­tion wird als bekannt vorausgesetzt.
Viele glauben, dass es "schon immer" die Azhar-Seite mit Gebühren­marken und Unter­schriften gab, die den Druck von maṣāḥif in Ägypten erlaubt hätten. Es gab aber Drucke ganz ohne Auto­ri­täten-Verweis oder einem auf das Innen­mini­ste­rium, oder auf den Chef­rezita­tor (mit oder ohne Hin­weis auf seine Funk­tion). 1376/1956 steht auf dem Muṣḥaf aš-Šamarlī: "Gedruckt mit Ge­nehmi­gung des Innen­ministe­rium, dem Šaiḫ­tum der Leser Ägyptens, und dem Šaiḫ­tum der Azhar ..."
1384/1964 wird nur auf die Azhar verwiesen, u.a. auf dem stell­vertreten­den Ober-Šaiḫ Maḥmūd Ḫalīl al-Ḥuṣarī.
Das Gesetz 103 von 1961 hatte "die Abteilung für For­schung und Ver­breitung" in der Azhar zuständig gemacht.
Seit 1985 überwacht die Azhar-Gruppe Islamische For­schung Koran-Ver­öffent­lichungen.
Bestätigt im Gesetz Nr. 57 am 26.10.1998.
2005 zeichnet wieder ‒ wie 1924 ‒ der Chef-Leser Ägyp­tens (damals Dr. Aḥmad ʿIṣā al-Maʿṣ­rāwī), doch jetzt als Organ der Azhar.
Nachtrag:
Auch Marco Schöller ("Koran" in C.H.Becks Kleines Islam-Lexikon. Geschichte - Alltag - Kultur) und Stefan Wild ("Basmala" in Rout­ledges Encyclo­pedia of Islamic Civili­sation and Religion) faseln vom Azhar-Koran. Das scheint zum guten Ton zu gehören.
Auch François Déroche, Le Coran, une histoire plurielle. Essai sur la formation du texte coranique. Seuil, coll. « Les livres du nouveau monde », 304 p., 23 € zeugt von einem Grund­problem, dem ich auf der Spur bin: von Experten, die über den Teller­rand hinaus schreiben ‒ nicht schauen (das ist ja nötig), sondern auch über Dinge schreiben, von denen sie nichts ver­stehen, wo sie also nach­plap­pern, oft Sachen, die sie gerade erst ge­lesen haben.
Wenn er über Pergament, Heft/ qahier/ quire, Schreib­stile/ Duktūs schreibt, ist er in seinem Element. Wenn er z.B. Asma Hilalis Bemer­kungen über den Sanaa Palimp­sest abkanzelt, weiß er, wovon er schreibt.
Doch sind seine Nebenher-Bemerkungen über Gizeh1924 schlicht falsch und seine Aus­führungen über "Korane" bei der Ver­marktung des Buches unnötig spekta­kulär, bewusst miss­verständ­lich.
[l]es savants d’al-Azhar qui réali­sèrent au début du XXe siècle l’édition du Caire ... était parfaitement claire : pour établir le texte, ils ont exclusive­ment fait appel à des traités relatifs aux différents aspects du Coran, en aucun cas aux manuscrits des débuts de l’islam.
la « vulgate » ... représente la « lecture » de Hafs (m. en 796) qui avait ... dans le passé connu un relatif succès, sans pour autant repousser les autres dans l’oubli. Cette version, soutenue par l’édition de son texte que j’évoquais plus haut, a connu depuis un succès con­sidérable et a eu tendance à éclip­ser les autres.
Nochmals: Es war der Chefrezitator, keine Azhar-Gelehrten, der die Regierungsausgabe schuf.
Es gibt keine «Lesart» Ḥafṣ, sondern nur seine «Überlieferung» der Lesart ʿĀṣim.
Seine Überlieferung ist schon seit 400 Jahren in Ägypten und ganz Asien domi­nant. Dass sie durch Gizeh1924 verbreitet worden sei, ist dummes ‒ zu­mindest komplett unbe­legtes ‒ Geschwätz.
Es ist auch nicht so, dass die anderen Überlieferungen nach 1923 (endlich) in Vergessen­heit geraten seien. Viel­mehr haben Ton-Auf­nahmen, Drucke, CDs, Fernseh­sendugen und Apps die anderen Über­liefe­rungen so stark ins Bewusst­sein der einfachen Gläubigen gebracht, wie sie es lange nicht gewesen waren.

Beim letzten Punkt geht es nicht um falsch <-> richtig, sondern um (un)ge­schickt gewählt. Zumindest bei der Ve­rmarktung des Buches klingt Deroche so, als habe es mehrere Korane gegeben. Schließ­lich sei es doch etwas ganz anderes, ob « le très puissant et le très savant » (‘azîz + hakîm) gesagt würde oder « le très audiant et l'omniscient » (samî’ + ‘alîm).
Ich habe mal geschrieben, dass es Mikro-Unter­schiede gebe, Unter­schiede auf Wort-Ebene, kaum je auf Satz-Ebene, nie auf Abschnitt-Ebene.
Aber der "Sehr-Gelehrte" und der "All-Wissende" ist doch nicht das Gleiche.
Sorry, es GEHT ÜBERHAUPT NICHT um das konkrete Ausge­drückte, es handelt sich AN DER STELLE um eine Formel, die den Abschnitt abschließt, eine Formal die immer heißt: "Gott ist x und y", so wie ehrwürdige Jungfrau, lobwürdige Jungfrau, mächtige Jungfrau, gütige Jungfrau, getreue Jungfrau für Maria AUSTAUSCHBAR sind.
Gewiss, Deroche weiß das, er ist im Buch auch vorsichtig genug, aber ich rieche Sensationslust, die sich wenig um die Empfindlichkeiten von Muslimen kümmert.

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