Wie Bobzin sich mit dem Koran auskennt, und doch nicht mit dem 1924er Gizeh-Druck,
so kennt sich Franҫois Deroche mit frühen Handschriften aus, aber nicht mit der
König-Fuʾād-Ausgabe.
In seiner
Antrittsvorlesung am Collège de France sprach er von »les savants d’al-Azhar [qui] mirent au point l’édition qui, à partir de 1923, s’est peu à peu imposée tant aux communautés musulmanes qu’à ceux qui étudient le Coran selon une approche scientifique«.
Es ist nicht nur falsch, dass diese Ausgabe sich in DEN muslimischen Gemeinden durchgesetzt habe ‒ in Wahrheit setzte sich ihre
Rechtschreibung (in leicht modifizierter Form) erst durch, nachdem ʿUṯmān Ṭaha eine Fassung auf 604 Seiten
handgeschrieben hatte, und vor allem: NUR bei Arabern und Salafisten, sowie in Malaysia.
Es ist nicht nur falsch, dass sie seit 1923 existiere. Es war wohl erst 1925 fertig gebunden.
Vor allem aber hat die Ausgabe mit der Azhar so gut wie nichts zu tun. Der Text des Qurʾān und der des Nachwortes, den nachgestellten Informationen, stammt vom Chefrezitator Ägyptens, nicht von Gelehrten (savant
s) der Azhar.
NB: Im
Azhar-Muṣḥaf von 1976 wird "Azhar" nicht erwähnt, die Informationen nach dem qurʾānischen Text sind von ʿAbd al-Ḥalīm Maḥmūd, von 1973 bis zu seinem Tod 1978 Šaiḫ al-Azhar, unterzeichnet ‒ seine Funktion wird als bekannt vorausgesetzt.
Viele glauben, dass es "schon immer" die Azhar-Seite mit Gebührenmarken und Unterschriften gab, die den Druck von
maṣāḥif in Ägypten erlaubt hätten. Es gab aber Drucke ganz ohne Autoritäten-Verweis oder einem auf das Innenministerium, oder auf den Chefrezitator (mit oder ohne Hinweis auf seine Funktion). 1376/1956 steht auf dem Muṣḥaf aš-Šamarlī: "Gedruckt mit Genehmigung des Innenministerium, dem Šaiḫtum der Leser Ägyptens, und dem Šaiḫtum der Azhar ..."
1384/1964 wird nur auf die Azhar verwiesen, u.a. auf dem stellvertretenden Ober-Šaiḫ Maḥmūd Ḫalīl al-Ḥuṣarī.
Das Gesetz 103 von 1961 hatte "die Abteilung für Forschung und Verbreitung"
in der Azhar zuständig gemacht.
Seit 1985 überwacht die Azhar-Gruppe
Islamische Forschung Koran-Veröffentlichungen.
Bestätigt im Gesetz Nr. 57 am 26.10.1998.
2005 zeichnet wieder ‒ wie 1924 ‒ der Chef-Leser Ägyptens (damals Dr. Aḥmad ʿIṣā al-Maʿṣrāwī), doch jetzt als Organ der Azhar.
Nachtrag:
Auch Marco Schöller ("Koran" in C.H.Becks
Kleines Islam-Lexikon. Geschichte - Alltag - Kultur) und Stefan Wild ("Basmala" in Routledges
Encyclopedia of Islamic Civilisation and Religion) faseln vom Azhar-Koran. Das scheint zum guten Ton zu gehören.

Auch François Déroche,
Le Coran, une histoire plurielle. Essai sur la formation du texte coranique. Seuil, coll. « Les livres du nouveau monde », 304 p., 23 € zeugt von einem Grundproblem, dem ich auf der
Spur bin: von Experten, die über den Tellerrand hinaus schreiben ‒ nicht schauen (das ist ja nötig),
sondern auch über Dinge schreiben, von denen sie nichts verstehen, wo sie also nachplappern,
oft Sachen, die sie gerade erst gelesen haben.
Wenn er über Pergament, Heft/ qahier/ quire, Schreibstile/ Duktūs schreibt, ist er in seinem Element.
Wenn er z.B. Asma Hilalis Bemerkungen über den Sanaa Palimpsest abkanzelt, weiß er, wovon er schreibt.
Doch sind seine Nebenher-Bemerkungen über Gizeh1924 schlicht falsch und seine Ausführungen über "Koran
e"
bei der Vermarktung des Buches unnötig spektakulär, bewusst missverständlich.
[l]es savants d’al-Azhar qui réalisèrent au début du XXe siècle l’édition du Caire ... était parfaitement
claire : pour établir le texte, ils ont exclusivement fait appel à des traités relatifs
aux différents aspects du Coran, en aucun cas aux manuscrits des débuts de l’islam.
la « vulgate » ...
représente la « lecture » de Hafs (m. en 796) qui avait
... dans le passé connu un relatif succès, sans pour autant
repousser les autres dans l’oubli. Cette version, soutenue
par l’édition de son texte que j’évoquais plus haut, a
connu depuis un succès considérable et a eu tendance à éclipser les autres.
Nochmals: Es war
der Chefrezitator, keine Azhar-Gelehrte
n,
der die Regierungsausgabe schuf.
Es gibt keine «Lesart» Ḥafṣ, sondern nur seine «Überlieferung» der Lesart ʿĀṣim.
Seine Überlieferung ist schon seit 400 Jahren in Ägypten und ganz Asien dominant. Dass sie
durch Gizeh1924 verbreitet worden sei, ist dummes ‒ zumindest komplett unbelegtes ‒ Geschwätz.
Es ist auch nicht so, dass die anderen Überlieferungen nach 1923 (endlich) in Vergessenheit
geraten seien. Vielmehr haben Ton-Aufnahmen, Drucke, CDs, Fernsehsendugen und Apps die anderen
Überlieferungen so stark ins Bewusstsein der einfachen Gläubigen gebracht, wie sie es lange
nicht gewesen waren.
Beim letzten Punkt geht es nicht um falsch <-> richtig, sondern
um (un)geschickt gewählt. Zumindest bei der Vermarktung des Buches klingt
Deroche so, als habe es mehrere Korane gegeben. Schließlich sei es doch etwas ganz
anderes, ob « le très puissant et le très savant »
(‘azîz + hakîm) gesagt würde
oder « le très audiant et l'omniscient »
(samî’ + ‘alîm).
Ich habe mal geschrieben, dass es Mikro-Unterschiede gebe, Unterschiede auf Wort-Ebene,
kaum je auf Satz-Ebene, nie auf Abschnitt-Ebene.
Aber der "Sehr-Gelehrte" und der "All-Wissende" ist doch nicht das Gleiche.
Sorry, es GEHT ÜBERHAUPT NICHT um das konkrete Ausgedrückte, es handelt sich AN DER STELLE
um eine Formel, die den Abschnitt abschließt, eine Formal die immer heißt:
"Gott ist x und y", so wie ehrwürdige Jungfrau,
lobwürdige Jungfrau,
mächtige Jungfrau,
gütige Jungfrau,
getreue Jungfrau für Maria AUSTAUSCHBAR sind.
Gewiss, Deroche weiß das, er ist im Buch auch vorsichtig genug,
aber ich rieche Sensationslust, die sich wenig um die Empfindlichkeiten
von Muslimen kümmert.