Samstag, 26. Juni 2021

Kinder und Enkel der König-Fuʾād-Ausgaben

Orientalisten behaupten gerne, dass die KFA in Ägypten immens populär gewesen sei und in der gesamten islami­schen Welt ver­breitet.
Beides ist völliger Unsinn.
Trotzdem ist sie wichtig und wirkt bis heute.
Bis 1924 war die osmanische Schreibung (مالك العالمين الكيتاب) dominant ‒ wobei es durchaus auch defektive Schreibung gab. Danach breitet sich die defek­tive aus ‒ "plene"-Schreibung hielt sich bis in die 1960er Jahre, heute findet man sie nur noch vereinzelt als Basis­text zu aus­führ­lichen Kommen­taren.
Die Ausgaben der Amīriyya (827 Seiten zu zwölf Zeilen, kein Titel­blatt, kein Titel auf dem Einband, separate Paginierung für die "Zugaben") waren nur bei Orien­ta­listen beliebt.
Ägypter bevor­zugten die 1308/1890 von Muṣṭafa Naẓīf auf 522 zu 15 Zeilen geschriebene Fassung, die es jetzt an die neue Schrei­bung angepasst gab. Hier zwei halbe Seiten aus dem 522er,
links nach den afro-arabischen Regeln Q52, rechts im Original: osmanisch:
Hier von zwei Verlagen Anpassungen von MNQ an die Orthographie der KFA:



In den 1960ern ließ der Widerwille gegen gesetzten Text nach. Durch (Schul-)­bücher und Zei­tungen war man daran gewöhnt. Und während einige Leser für den Ab­stand zwischen den Zeilen und zwischen den Wörtern dank­bar waren, ver­langten viele kom­paktere Ausgaben. So zer­schnitten Ver­leger die Filme des Original und klebten es auf dem Licht­tisch neu zusammen: mehr und längere Zeilen: Hier Seiten zu 15, 14 und (den originalen) 12 Zeilen (aber "privatem") Rahmen:
1960 gab es in Taschkend einen Reprint der 1952er:
Mitte der 1970er stellte die Amīriyya den Druck der KFA ein, brachte statt dessen den Muṣḥaf al-Azhar aš-Šarīf in diversen Formaten und Ausstattungen heraus.

1983 gab es noch einmal das Original: aus Cambridge und Stuttgart : Wie beim Original ohne Titel auf dem Einband. Nach dem farbigen Schmuck­seiten folgen die drei Ausgaben dem von 1952. Wo einst Fuʾād erwähnt wurde gibt es ein graphisches Element.
In Wirklichkeit in Farbe:
Leider wurde die Erklärungen neu – schlechter als in Kairo – gesetzt. Hier der Anfang im Ver­gleich:
Und die Ḫātima hat gar keine Unter­schriften:
Wer sich vor 2016, als der 1924er Druck ins Netz gestellt wurde, ein Bild von der Erst­ausgabe machen wollte, und nicht gerade in Berlin saß, wo die Preu­ßi­sche Staats­biblithek ein Exem­plar besaß, oder in München an Gotthelf Berg­sträßers gelangen konnte, hatte viel­leicht die Möglich­keit den 1955er Pekinger Nach­druck zu erwerben ‒ auf dem gleichen Papier wie 1924, aber mit Titel­blatt und mit sinier­ten graphi­schen Elementen.

1975 gab es in Qaṭar einen Nachdruck der 1952 Fassung
aber mit der "Ḫātima" von 1924:

Donnerstag, 24. Juni 2021

Casablanca-Habous Anouk Cohen



Anouk Cohen hat in einem der Buch­läden (mit Verlag) im Ha­bous-Vier­tel von Casa­blan­ca teil­nehmend be­ob­achtet und darüber an die zehn Artikel und ein Buch ver­öf­fent­licht.
Interessant ‒ leider voller Fehler.





C’est en 1923 au Caire à Al-Azhar ... qu’appa­raît sous l’égide du roi Fouad Ier, le premier Coran im­primé en carac­tères mobiles. Ce Coran dit « Coran du Caire » est rapide­ment devenu l’équivalent d’une édition « offi­cielle », largement diffusée à travers le monde musulman
"L’économie du Livre saint dans le Maroc contemporain" in Les Cahiers du C.A.P. Créations Arts Patrimoine, Publications de la Sorbonne, 2015. ffhal-01631945
‒ es gab schon vorher Typendrucke des Koran (Venedig, Hamburg, Padua, St.Peters­burg, Kazan, Täbriz, Leipzig, Calcutta)
‒ ‒ das von ihr vorher erwähnte Holland ist Unfug; es ist keine voll­stän­dige Ausgabe des Korans, sondern ein paar Verse für den Arabisch­unterricht.
‒ die König-Fuʾād-Ausgabe war KEIN Typendruck
‒ ‒ es wäre auch nicht der erste
‒ es war nicht 1923
‒ es war nicht an der Azhar, sondern bei der Staats­druckerei (dem Kataster­amt und dem Erziehungs­ministerium)
‒ nur Dummköpfe nennen die König-Fuʾād-Ausgabe "Kairo­Koran" ‒ schon weil es wohl tausend ver­schie­dene Kairo­drucke des Korans gibt
‒ ja, er war in Ägypten "amtlich", aber im Rest Ost­arbiens erst um 2000, und bei 4/5 der Muslime ist er es nicht: Inder, Indonesier, Türken, Perser ver­wenden ihn nicht.
‒ ‒ genau genommen, benutzen ihn nur Orienta­listen. Heute haben jedoch Ost­araber Ausgaben, die seinem Text, seinen Pausen­zeichen, seiner Vers­zählung weit­gehend folgen ‒ eigentlich der Ausgabe von 1952, der zwar nur an drei Stellen einen anderen rasm hat, aber völlig andere Pausen und andere Übergänge zwischen den Suren (indische Ausgaben berücksichtigen das Lesen der nächsten Sure nicht, die 1924er Ausgabe nimmt an, dass nach dem letzten Wort der einen Sure, das erste Wort der nächsten kommt. Maghrebinische Ausgaben sowie die Ausgaben nach 1952 nehmen an, dass die Basmala kommt).
‒ ‒ es gibt kaum Exemplare der Erstausgabe, die biblio­gra­phisch 1342/1924 er­schien, in Wirk­lich­keit aber erst (fertig ge­bunden) 1925. Die Staats­drucke­rei hat sie nie unver­ändert nach­gedruckt, nie­mand hat sie unver­ändert reprinted. Erst seit 2016 findet man sie im Netz. (bei CC ohne die Seiten zum König, zu den Prinzi­pien der Ausgabe, der Erklärung der Zeichen, den Namen der Her­aus­geber, dem Index, dem Druck­hinweis)
la lithographie ... reprodui[t] le tracé effectué à l’encre ou au crayon sur une pierre calcaire ou une plaque métallique
ist ‒ offen­sicht­lich ‒ falsch: nur Stein­druck ist Stein­druck; Metall­platten benutzt man bei Offset.
La [manière la] plus économique consiste à scanner les pages d’un Coran
Noch billiger ist es, den Text der Seiten (ohne Titelei, ohne Rahmen) kostenlos herunterzuladen. (Achtung: der Link löst den Download der Vektoren aus.)
Il existe même des modèles de Coran divisés en plusieurs livres — généralement six composés chacun de cinq hizb — rangés dans une valise.
Anouk hat es nicht mit dem Rechnen. 6x5 = 30, also in Marokko nur den halben Muṣḥaf.
Le Coran peut se décomposer en quatre, six, douze ou trente livres. Il n’y a pas d’autres divisions possibles. Celles adoptées renvoient à des méthodes didactiques d’apprentissage du Coran
"Le Coran et ses multiples formes (Casablanca, Maroc)" in Terrain 59, 9.2012
Entschuldigung: Selbstverständ­lich gibt es andere Ausgaben, etwa zwei und sieben, auch 15 Bände.
Es geht auch nicht um Lehr-/Lern-Ein­heiten, sondern um Gebets­einheiten: man liest/betet den Koran in einem Monat/30 Tagen, oder schneller (also 30/x), oder in einer Woche. So unterhaltsam Cohens Berichte als Buchhändler-Prakti­kan­tin sind, so uninformiert = so ungenau sind ihre Aus­führungen zum Muṣḥaf an sich:
Hafs et Warsh sont l’appel­lation donnée à deux des sept lectures coraniques (qirâ’a).
Tatsächlich sind Warš (frz. Warch) und Ḥafṣ keine der sieben Lesarten (qirāʾāt), sondern zwei der vierzehn Über­mittlungen (riwāyāt).
conforme à la lecture de Warsh ou à la lecture de Hafs — dont les variantes concernent « ... des emplacements de pauses dans la réci­ta­tion ou de fins de versets ainsi que des détails de pro­noncia­tion »
Pausen und Versenden haben genaugenom­men NICHTS mit den Lesarten zu tun — außer dass bestimmte Versendensysteme MEIST mit bestimmten Lesarten kombiniert sind.
Alors que les modèles de Coran Hafs sont le plus souvent reproduits en caractères mobiles suivant la calligraphie naskhi, les modèles de Coran Warsh pré­sentent majori­taire­ment une écriture manuscrite en calli­graphie maghribî.
Heutzutagen handelt es sich bei den meisten um Offset-Wieder­gaben von hand­geschrie­benen Vor­lagen — sowohl bei Ḥafs wie bei Warš. Es gibt aber auch — von beiden riwāyāt — com­puter-ge­setzte mit beson­deren Fonts. Solche Desktop Publishing Produkte nennt A. Cohen "typo­graphique" (Anouk Cohen, « Éditer la Révélation. Le Coran dans le Maroc contemporain », Genèses 2016/4 n° 105, p. 63. Sie hat nicht nur vom qurʾān, sondern auch von der Buchherstellung keine Ahnung.)
les jeunes générations utilisent davantage le Coran Hafs, plus lisible
Die ersten beiden sind Ḥafṣ, der letzte Warš, alle hand­ge­schrieben, offset ge­druckt.
Welcher ist leichter zu lesen?
"XY ist" und "XY ist meist" ist nicht das­selbe.
il n’existe qu’une maison d’édition au monde détentrice des droits d’auteur du Coran Warsh: Dār al-Mūsa aš-Šarīf, une société égyptienne installée au Caire.
Anouk Cohen: "Le livre du Coran à Rabat et à Casablanca" in Archives de sciences sociales des religions 150, avil-juin 2010
Nicht nur, dass es ein "Haus des Edlen Moses" gar nicht geben kann,
die Idee, die A.Cohen zehnfach wieder­holt, dass ein Verlag die Rechte an "Warš" hielte, ist irre.

Fünf Jahre später heißt es — kaum weniger falsch — :
Jusqu’à une période récente, les droits d’écriture du Coran Warsh n’appar­tenaient qu’à une seule maison d’édition, Dâr al- mushaf al-sharîf, installée au Caire.
Dār al-muṣḥaf ohne Adresse ist so informtiv wie Café de Paris oder Hotel Savoy.

Nun kommen wir zu der irrigen Behauptung, die uns besonders interessiert
La version en calli­graphie maghrîbî de lecture Warsh la plus fré­quem­ment piratée est le «mushaf de Zwiten», comme il est com­muné­ment appelé. Il s’agit d’une édition réa­lisée en 1929 par un célèbre faqîh (juriste) et calli­graphe réputé pour son écriture et sa con­nais­sance du Coran, dont les droits appar­tenaient jusqu’à une période récente à la maison d’édition-dis­tribu­tion Dar al- mushaf al-sharîf, située au Caire ... Nommé Zwiten, ce calligraphe était pro­fes­seur à al-Qara­wiyyîn, une impor­tante uni­versité d’études isla­miques à Fès. Selon Mohammed Maghraoui, spécialiste des arts tra­ditionnels maro­cains et enseignant à l’université Mohammed V à Rabat, cette édition est utilisée comme modèle car «il s’agit de la plus ancienne copie du Coran litho­gra­phiée avec la numéro­tation au Maroc » [Gesprächs­notiz der Autorin]. C’est pourquoi, pour­suit-il, le statut de Coran «authen­tique» lui a été conféré. Jusqu’à aujourd’hui, le «mus­haf de Zwiten» est le modèle original des masa­hîf le plus reproduit au Maroc par le scan ou la copie manu­scrite. Il s’agit d’un livre cano­nique – différent de celui qui prévaut au Moyen-Orient.
Anouk Cohen, « Éditer la Révéla­tion. Le Coran dans le Maroc contem­porain », Genèses 2016/4 n° 105, p. 66sq.
1.) Den 1347/1929er Druck gibt es tatsächlich.
2.) Er erschien in Kairo (angebl. auch in Fez, jeweils in al-Maṭbaʿa at-Tiǧārīya al-Kubrā).
3.) Er hatte 699 Seiten
4.) Der Kalligraph ist أحمد بن الحسن زويتن الفاشي
5.) Es gab schon davor (zumindest in Alger) Warš-Ausgaben mit Nummern nach den Versen. Nimmt man an, dass der 1929er Druck tatsächlich auch in Fez erschien (und dies nicht nur fromme Fiktion war), dann könnte es tatsächlich der erste marokkanische mit Nummern sein.
6.) Er ist NICHT oft nach­gedruckt, es sei denn, man hat diese Nach­drucke systematisch vor mir versteckt.
Hier ein paar Bilder aus dem 1929er "Zwītēn", der auch als "al-Ḥabbābī", nach dem Finanzier und Her­ausgeber, benannt ist. Ich habe ihn bisher nur in den baye­rischen und der portu­giesischen National­bibliotheken lokalisieren können.
Und nun ein paar Bilder der Kairiner Warš-Ausgabe von Muḥammad ʿAbd ar-Raḥmān Muḥammad:
Hier mit anderem Rahmen:
Deren Kalligraph und Verleger ist Muḥammad (ibn) ʿAbd al-Raḥmān (ibn) Muḥammad.
طبع هـذا المصحف بالرسم العثماني برواية ورش بالخط المغربي التونسي الجزائري الإفريقي الموحد، وفقـا للتصميم الذي وضعه محمد عبد الرحمـان محمد
Entweder hällt A. Cohen diese Schrift für die von "Zwiten" — merk­wür­diger­weise gibt es in ihren zehn Artikeln kein Bild davon (oder habe ich Tomaten vor den Augen) — oder man hat mir zig Nach­drucke von Muḥammad (ibn) ʿAbd al-Raḥmān (ibn) Muḥammads Einheitsmaghribinischen vor­gelegt und alle von Cohens "Zwiten" ver­schwin­den lassen. Auch weil bei ihr fast nichts stimmt, gehe ich davon aus, dass sie die beiden ver­wechselt.
Hier eines der vier Titelbilder des meist nachgedruckten "Kairo-Korans"

Hafez Osman der Ältere (der Große) Drucke

Ich habe ja schon mehrmals über die beiden Hafez Osmans gepostet, zugegeben, dass ich ihre Schrift nicht sicher ungescheiden kann, mich desh...